|
von Christopher Dell, 2003
Ein künstlerisches Manifest von Magdalena Inc.+
zum erweiterten Improvisationsbegriff als Ort des Demokratischen. Im weiteren
Text wird
Magdalena Inc.+ als MI+
bezeichnet. Die Zentrale der Gruppe befindet sich als nomadischer Ort zwischen
Berlin und Köln.
MI+ ist eine demokratische Produktionsgemeinschaft. Ihr Programm beinhaltet
u.a. die Bereitschaft zur Veränderung, das Engagement für gesellschaftliches
Beteiligen innerhalb der Gruppe, für mikrokosmische Untersuchungen
am Material.
Die Gruppe möchte das ganze Assoziationsspektrum abdecken und sich nicht
auf dogmatische Kunstbegriffe beschränken - so hat das Symbolische oder
Romantische ebenso seinen Platz in der Performance wie auch nüchtern
freigestelltes Material.
Das künstlerisches Selbstverständnis von MI+ erwächst aus dem
Auftrag neue Perspektiven gesellschaftlichen Gestaltens praktisch zu erproben.
Das Projekt „Am Rande der Zeit“ zielte auf die zeitlichen Ebenen
demokratischer Verhandlungsprozesse. Die Fortentwicklung des Projektes in
der 2. Produktion von Magdalena Inc.+ „slow space“ zeigte: Um
innerhalb des Produktions-, Austauschs- und Verhandlungsprozesses alle Meinungen
zu hören, alle Positionen transparent zu machen, braucht es eine "produktive
Langsamkeit": den Raum des „slow space“. Jedes Gruppenmitglied
kann innerhalb dieser offenen Form Anträge einbringen. Desweiteren kann
jeder Akteur selbstverantwortlich das Gruppenfeld gestalten und so Verantwortung
für den Produktionsverlauf übernehmen.
Es geht also nicht um das theoretische Ausarbeiten sozialer Konzepte
, sondern um konkrete praktische Aktionen. Mit dem radikalen demokratischen
Raum der Performance wird ein exemplarisches Manifest statuiert, welches
immer
im Flüssigen ergo : in Bewegung bleibt. Performance wird zum demokratischen
Verfahren. Für den Betrachter sollen sich daraus Rückschlüsse
auf utopisch kulturelle und politische Entwicklungen ziehen lassen.
Im Produktionsverlauf überschreiten die ausgewiesenen Spezialisten ihres
Fachs die Grenzen ihrer eigenen Disziplin. Diese Transversalität erzeugt
für die Akteure einen neuen Erfahrungsraum. Sie werden im positiven Sinne
zu professionellen Autodidakten die sich auf diesem Umweg neue Strukturen
und Sprachgrammatiken arbeiten. Daraus erwächst ein Raum, indem die Bedürfnisse
und Überlegungen der Akteure abstrakt vermittelbar werden. So wird innovatives
und kritisches Denken und Handeln in einem Instant-Verfahren weiterentwickelt.
Wie das aussieht und sich darstellt verändert sich mit jeder Performance.
Das Gelingen hängt dabei weder an der Erfüllung ergebnisorientierter
Pläne noch an der Zurschaustellung spektakulärer Virtuosität.
Vielmehr geht es um die Einstellung, die Offenheit, das Gestimmt-Sein; um
Solidarität und Intensität.
So wird die Performance zu einem Kreationsprozess in den sich die Akteure
jederzeit einbringen können. Es steht nicht ein Regisseur im Mittelpunkt
sondern Konzept und Handlung entstehen in multipler Autorschaft.
Was bei der Performance entsteht, soll nicht allein als Kunstwerk gelten,
sondern sich als sozial organisches Feld interpretieren lassen. Offensiv
und affirmativ wird mit der gesellschaftlichen Struktur des freien Lebensentwurfs
gespielt.
Dabei wird auch der Komponente des architektonischen Gestaltens eine
tragende Rolle zugewiesen. Vermittels medialer Raumtechniken, subtiler
Lichtverhältnisse,
sowie Video- und Diainstallationen werden in changierenden Farbqualitäten
dezente Situation-und Options Räume geschaffen. Diese können im
Lauf der Performance bespielt und variiert werden. Die Interventionen im politischen
Raum der Gruppe sind nicht in erster Linie subversiv sondern gestalten aktiv
eine Ökonomie des Handels in der Zeit.
Daraus formulieren sich Wünsche der Gruppe die als ortsspezifische Gegenthesen
zu dem was in den Räumen gewöhnlich passiert, stehen. Die gesellschaftlichen
Interaktionen sind genauso interessant wie der Ort selbst: der Gruppe geht
es um die sozialen Veränderungen und performativen Qualitäten, die
die körperliche Bewegung im künstlichen Raum bewirkt. Eine ästhetische
Raumsoziologie erwächst. Kunst besteht hier nicht aus Modellen, Gemälden,
Zeichnungen die käuflich sind und ausstellbar. Der Schwerpunkt liegt
vielmehr im Engagement des Gruppenaustauschs, der sozialen Plastik selbst.
Mit der Performance inszeniert MI+ ihren eigenen demokratischen Entscheidungsprozess.
Der direkte Kontakt von Körper und Raum ist essenziell. Jedoch wird der
Betrachter nicht auf Distanz gehalten. Statt hermetisch abgeschlossen zu sein
lässt die Echt-Zeit-Inszenierung vielmehr die Frage für den Betrachter
selbst im Raum stehen, inwiefern er eigene Utopien und Lebensentwürfe
darin spiegeln kann. Die Positionen bleiben ebenso klar und transparent wie
offen. Der Begriff des Fluxus und der individuellen Mythologie wird erweitert
um die Dimension moderner Körpertechniken und sozialer Imagination. Der
Körper konvergiert mit dem politischen Diskurs. Performance wird zum
Ort des politischen zum Ort des dritten Körpers.
In „Der dritte Körper“ wird Kunst zur Plattform interaktiver
Produktionsprozesse. Die Radikalität der Unbestimmtheit und die aktive
Bejahung von Kontingenz besitzt den Anspruch des Politischen – und
zwar im Sinne einer Praxis des Peripheren und des Anderen, im Sinne einer
Arbeit
in der Differenz.
Politik hat immer mit Sprache zu tun. Um innovativ und eigengestalterisch
tätig zu sein, muss die Sprache verändert und neu definiert werden.
Dabei muss ein ökonomisches Gleichgewicht zwischen Kontext und Intervention
zwischen „verständlich“ und „neu“ hergestellt
werden. Es entstehen neue Begriffsfelder und Handlungsformen politischer Kunst.
Die Gruppe beschränkt sich dabei nicht auf einfache Gesten im Geist
des Readymade sondern versucht neue, intensive und komplexe Ausdrucksformen
zu
kreieren.
Die Performance von MI+ arbeitet nicht mit didaktischen Mitteln sondern
versucht in der exemplarisch freiheitlichen Handlungsform das politische
Bewusstsein der Beobachter zu mobilisieren. Das Ausliefern an die Freiheit
bedeutet dann:
praktisch Stellung zu beziehen. Kraft, Vehemenz, die Rebellion gegen
die Form kennzeichnen den manifesten Charakter der Aufführungen, die trotz verwirrend
vielfältiger Kleinheit, trotz kontingenter Bewegungsabläufe immer
die Aktion als das Transparente und das Politische begreift.
Der Kern politischer Kunst geht ein Bündnis mit der Poetik ein und wird
Raum gewordene Poesie als Ausdruck einer Zukunft als Möglichem. Die Symbiose
aus Unbekümmertheit, Aggressivität, Offensivdrang und freier Ästhetik
fördert jene soziale Realitäten zu Tage, die sich unter den Oberflächen
des offiziellen Politischen verdeckt halten. Jede Begegnung verändert.
Jede Bewegung verändert. Und das ist wiederum das Politische. Die Performances
sind lebende Tableaus, die die Entwicklung, die Lebensbedingungen und Gewohnheiten
der Gruppe spiegeln und die persönliche Sicht der Einzelkünstler
auf ihre Autobiografische Geschichte gibt .
Das Ensemble MI+ findet hier zu dem klaren Ausdruck seines völlig eigenen
Spielstils. Wobei Stil hier bedeutet, keinen Stil zu haben.
Transformation als Konzept beinhaltet das Befragen des Bestehenden
und die Erfahrung von etwas Neuem. Neue Verbindungen von Alltag und Kunst
werden untersucht, Positionen zur eigenen Geschichte und Gegenwart
ausgelotet.
Eine
lokalisierte Welt löst sich auf im demokratischen „slow space“.
Alte Koordinaten verschwinden und neue, hybride Identitäten entwickeln
sich. Statt umfassende Antworten auf große Themen geben zu wollen, geht
es also eher darum, wie die Macher der Plattform ganz konkret neue Erfahrungsmöglichkeiten
des Politischen und des Sozialen entwerfen und damit ein interaktives Transformationsfeld
eröffnen.
Live-Kameras und per Echtzeitsampling generierte Soundfiles funktionieren
hier nicht als digitale Datenmenge, sondern als etwas Materielles welches
Mitteilung über die Motive und Bewegungen des Eigenen eines jeden Gruppenmitglieds,
im Hinblick auf das der Anderen, innerhalb des Gesamtkonzepts vermitteln.
Eine innere Telematik entsteht.
Der inszenierte Raum wird zur bedienbaren, bespielbaren Installation
die sich in Veränderung befindet. Aus vorproduzierten Fragmenten, interaktiven
Elementen, spontanen Körperdialogen und freieren Fluxus-Momenten konstruiert
und improvisiert die MI+ seine Bühnenversion erhandelter Gruppensolidarität.
Jedoch bleiben Fragen bewusst offen: Sind heute Handlungen noch denkbar,
die nicht automatisch wieder isolierte Räume konstituieren? Geht nicht
oft die Bejahung der Aktion in ein unpräzises Nein über? Wollen
wir wirklich mit den Anderen handeln ? Ist das soziale noch kombinierbar?
Ist Soziabilität nicht konstante Überforderung? Welche Wünsche
und Bedürfnisse bestehen heute an das Soziale?
Auf dem Hintergrund dieser Fragen und versteht sich das Performancekonzept
von MI+ in der Entwicklung von „Am Rande der Zeit“ über „slow
space“ hin zu „Der dritte Körper“ als eine kritische
Schnittstelle zwischen künstlerischer und politischer Kommunikation
heute.
|
|